Wie ich zum Tanzen kam

2010, unverändert 17.1.2016


Ich hatte Glück. Zur elften Klasse kam ich in die Carl-von-Ossietzky-Oberschule in Berlin-Pankow, die nur wenige hundert Meter von einer Tanzschule (Schmidt-Hutten) entfernt lag. Einige meiner Mitschüler hatten dort schon etwas gelernt, und wir hatten einen Musiklehrer (Herr Koch), der nicht nur mit dem Chor beschäftigt war, sondern auch selbst im Unterricht Tanzmusik spielte und vortanzen ließ. Und als meine heimliche Flamme nach einem Tritt auf ihren Fuß meinte, ich könne doch auch irgendwann Tanzen lernen, wurde die Mutter belatschert, sie möge den Vater belatschern, damit mir der Tanzschulbesuch erlaubt werde (strenge Sitten damals). Und das war's:

Tanzen ist der einzige Sport, wo Jungen nicht nur mit Jungen, sondern auch mit Mädchen dürfen.

Tanzen ist ein Sport, wo Kraft und Gewalt keinen Vorteil bieten. Den vom Vorbild Friedrich Ludwig Jahns geprägten Sportunterricht an der Schule habe ich gehasst. Zwei Jahre jünger als meine Klassenkameraden, fand ich es schlimm, dass im Sport der körperliche Vorsprung, mit dem bestimmte Schüler mangelnde Leistungen und problematisches Betragen in den anderen Fächern kompensieren, hier noch belohnt wird:

Tanzen ist ein Sport, wo körperlich Unterlegene nicht von vornherein benachteiligt sind.

Irgendwann wird man dann von dem Blitz getroffen, der in die Seele schlägt und trifft und zündet (jawohl, Schiller!), und als ich dann nach zwei Jahren das erste Geld verdiente, konnte ans Heiraten gedacht werden. Wir zogen endlich zusammen, und das gemeinsame Tanzen begann, und die ersten Turniere in den unteren Klassen wurden bestritten. Den anderen Sport (Fechten) habe ich aufgegeben, denn:

Tanzen ist der einzige Sport, bei dem man sich nicht gegenseitig die Zeit stiehlt.

Nach einer Weile war damit erst einmal Schluss. Beruf, Kinder und Umzug lösten die Verbindung zur Tanzschule, und das Tanzen beschränkte sich auf gelegentliche und schon damals bedauernswert unzulängliche Tanzabende in Bars und Restaurants. Als die Kinder allein gelassen werden konnten, gingen wir zum TSC Rot-Gold Potsdam, um zu fragen, ob wir beim Training einfach mittanzen dürften. Dank einer energischen Trainerin (Brigitta Glöckner, Dank für ihre Mühe, solange ich auf meinen Beinen stehen kann) wurde daraus nach einem Jahr wieder ein Turnierstart, und nach weiteren sechs Jahren konnten wir uns für die oberste Startklasse qualifizieren:

Tanzen ist der Sport, bei dem man ohne Hilfsmittel Fliegen lernt.

Als nach der Wende der Turniersport zunächst unbezahlbar wurde, hörte ich auch auf meinen linken Fuß und gab das Training auf. Nach 15 Jahren im Vorstand des Landestanzsportverbandes und einem erholten Fuß gings aber wieder hin. Sport muss sein, und:

Tanzen ist der einzige Sport, den der Arzt ohne Vorbehalt empfiehlt.

Die Begeisterung hat sich noch verstärkt, auch wenn kein Turnier mehr sein muß. Zum Einen sind die Turniere nicht mehr das, was sie einst waren, zum Andern wächst immer mehr die Einsicht, dass man Tanzen nicht in erster Linie für den Wettbewerb lernen muss, sondern weil es um so glücklicher macht, je besser man sich bewegt. Und wenn die verbleibende Lebenszeit nun auch deutlicher abnimmt, wird eins immer wichtiger:

Tanzen ist der einzige Sport, bei dem man sich nicht loslassen muss.

DEL

 

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