Das Michelson-Experiment in Potsdam (1881)
- Der historische Ort
- Warum hat man einen Lichtäther gesucht, wo doch bereits das Schwerefeld
durch den leeren Raum über astronomische Entfernungen wirkt?
- Was suchte Michelson im Keller, wenn er einen Fahrtwind messen wollte?
- Warum hat Einstein bei der Konstruktion der Relativitätstheorie den
den Michelson-Versuch nicht erwähnt, obwohl er ihn später gefeiert hat?
- Wie funktioniert der Versuch?
Der historische Ort
Es gibt nicht einmal sechs Versuche, die in den Schulbüchern zum Fach Physik
namentlich genannt und im Einzelnen besprochen werden. Einer davon ist der Versuch von
Michelson, der auch in keiner Einführung in die Relativitätstheorie fehlt.
Der Ort, an dem er das erste Mal erfolgreich durchgeführt wurde, ist der
Keller unter der Ostkuppel des ehemaligen Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam,
das jetzt (2009) das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung beherbergt.
Albert Abraham Michelson
hatte eine Interferometer-Technik entwickelt, die es
zum erstenmal gestatten sollte, den Fahrtwind der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne zu bestimmen.
Mit diesem Fahrtwind ist nicht Luft gemeint, denn der Raum zwischen den Planeten ist im
Vergleich zur Erdatmosphäre leer, sondern ein Trägermedium der Lichtausbreitung,
der sogenannte Lichtäther. Wie ein Schwimmer im Fluss würden in diesem Fahrtwind
Lichtsignale abgetrieben, und daran sollte man die Bewegung der Erde um die Sonne
sehen.
Michelson konnte kein Abtreiben des Lichtsignale feststellen. Michelson selbst hat später dieses
Ergebnis als negativ bezeichnet, und
Einstein
hat dieses Experiment als Grundlage der Relativitätstheorie
bezeichnet. Beides ist aber genauer betrachtet ein Missverständnis.
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Warum Lichtäther?
Der Begründer der axiomatischen Mechanik,
Isaac Newton, hielt das Licht
für eine Art Teilchenstrom, der von den Lichtquellen mit einer hohen Geschwindigkeit ausgeht.
Das ist im heutigen Verständnis eigentlich naheliegend. Tatsächlich fand
J.Bradley
1725 den Regenschirmeffekt: Die Einfallsrichtung eines Teilchenstroms scheint ins Gesichtfeld zu rücken,
wenn man sich in Bewegung setzt. Wer im Regen losläuft, muss den Schirm nach vorn neigen.
Bradley sah, dass das Licht sich, wie von Newton erwartet, wie ein Strom von Teilchen benimmt,
deren Einfallrichtung sich zu ändern scheint, wenn man sich in ihm bewegt.
Dieser Effekt, die Aberration des Sternenlichts, wurde als Stütze
sowohl der Newton'schen Lichttheorie als auch der kopernikanischen These der Bewegung der Erde um die Sonne
gefeiert.
Als nun Thomas Young
und nach ihm
Auguste Fresnel
die Wellentheorie des
Lichts propagierten, weil nur diese auch
die Interferenzerscheinungen erklären konnte, war es einfach,
mit den Huygens'schen
Konstruktionen, die wir aus der Schule kennen, Brechung und Spiegelung zu erklären.
Allerdings erwartet man nun ein Trägermedium dieser Wellen,
weil man auch wegen des Erfolges der Mechanik
ein mechanisches Modell erwartete.
Darüber hinaus hatte man seit
Galilei
verstanden, dass sich
die Geschwindigkeit eines abgeschlossenen Raums nur bestimmen lässt, wenn man Bezugobjekte
außerhalb dieses Raumes hat und diese auch beobachtet (Relativitätsprinzip).
Wenn man nun Geschwindigkeiten einfach durch Addition zusammensetzt, dann muss Licht, das einem bei
Bewegung entgegenkommt, schneller sein, als das Licht, von dem man überholt wird.
Es schien, als könne man eine Geschwindigkeit allein aus der Differenz bestimmen, ohne sich auf
äußere Objekte beziehen zu müssen. Um das Relativitätsprinzip zu retten,
musste der Äther als äußeres Objekt existieren.
Die Differenz der Geschwindigkeiten zwischen dem
entgegenkommenden und dem überholenden Licht zeigt dann nicht irgendeine Geschwindigkeit, sondern
die gegen den Äther.
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Warum Keller?
So schön, wie das Wellenbild nun auch die Interferenzphänomene
erklären konnte (Brechung und Reflexion gibt es auch für einen Teilchenregen),
die Aberration war nun verschwunden. Kommt der Regen in horizontalen Fronten
herab, ändert sich wohl die Richtung der Tropfen, wenn wir uns in Bewegung setzen,
aber nicht die der Fronten. Fronten beziehen sich ja nicht auf eine Bewegung,
sondern auf einen
instantanen Zustand,
also wird ihre Richtung auch nicht durch Bewegung beeinflusst.
Fresnel sah in der fehlenden Aberration das Hauptproblem der Wellentheorie, bis er einen
Ausweg, eine Ausrede fand. Das Fernrohr bestimmt nämlich nicht die Lage der Wellenfronten,
sondern nur die Bewegung eines durch die Apertur bestimmten Ausschnitts,
der sich wie eine Art Schaumkrone bewegt und durchaus wieder Aberration zeigt.
Das funktioniert aber nur, wenn sich das Trägermedium (der Äther)
ungestört durch die Wände des Fernrohrs bewegen kann. Tut der Äther
das nicht, wird die Richtungsbestimmung mit
dem Fernrohr ohnehin ganz problematisch.
Fresnel rang sich also zu der Auffassung durch, der Äther müsse sich
ungehindert durch Wände bewegen,
weil sonst die Aberration dem Wellenbild der Lichtausbreitung widersprochen hätte.
Das reichte damals als Erklärung aus,
weil die heutigen Möglichkeiten, die Lage von Wellenfronten selbst zu messen,
ganz unerreichber waren.
Nur langsam gewöhnte man sich an diese eigentlich utopische Eigenschaft des Äthers, aber
man musste ohnehin noch viele andere unverständliche Eigenschaften unterstellen.
Michelson zeigte nun mit seinem
Experiment, dass die Hypothese des ungestörten Äthers
nicht haltbar ist. Dabei wurde die Existenz des Trägermediums
nicht in Frage gestellt. Wie es der Alltagsvorurteil erwartet,
wird der Äther von der Erde mitgenommen.
Fresnels Erklärung der Aberration bricht zusammen.
The interpretation of these results is that there is no displacement of the interference bands.
The result of the hypothesis of a stationary ether is thus shown to be incorrect, and the necessary conclusion
follows that the hypothesis is erroneous.
This conclusion directly contradicts the explanation of the phenomenon
of aberration which has been hitherto generally accepted, and which presupposes that the earth moves
through the ether, the latter remaining at rest.
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Warum hat Einstein bei der Konstruktion der Relativitätstheorie den
Michelson-Versuch nicht erwähnt?
Michelson hat sein Versuchsergebnis in so banaler Weise erklärt,
dass nur diejenigen, die noch das Problem der Aberration kannten,
sich an seiner Erklärung stießen und nach neuen Ausreden
suchten. Die
Lorentz-Kontraktion erwies sich als Sackgasse, so dass Lorentz schließlich
die Aberration für Wellenfronten selbst fordern musste und auf eine
formale Änderung der Gleichzeitigkeit bei der Messung der Wellenfronten schloß.
Andere Fragen der Beziehung zwischen Mechanik und Elektrodynamik wurden wenigstens ebenso wichtig,
so dass bereits die Reduktion der Galileischen Relativität allein auf die Mechanik
(d.h. die Aufgabe der Ätherhypothese) in Erwägung gezogen wurde.
Einstein hatte nach seinen Aussagen beim Nachdenken über die Bestimmung der Gleichzeitigkeit
den Geistesblitz, die Unabhängigkeit der Lichtausbreitung von der Geschwindigkeit sowohl
der Quelle als auch des Messenden als Axiom zu setzen und der Galileischen Relativität wieder
Allgemeingültigkeit zu verleihen. Der Lichtgeschwindigkeit wird also unterstellt, allgemein
unabhängig
von der Richtung zu sein und also ihren Betrag bei Zusammensetzung
mit anderen Geschwindigkeiten nicht zu ändern.
Nun klärte sich alles auf. Es zeigte sich,
wie die Aberration der Wellenfronten zustandekommt
und wie die Relativität der Gleichzeitigkeit zu verstehen ist.
Das Ergebnis des Michelson-Versuchs bekam eine neue Erklärung, ebenso einfach wie die alte,
nur ein Äther musste nicht mehr zu Hilfe gerufen werden:
seine Unterstellung wurde überflüssig.
Als Michelson den 1907 den Nobel-Preis erhielt (für die Technik,
nicht für den speziellen Versuch),
förderte dies die Akzeptanz der Relativitätstheorie
in solchem Maße, dass der Michelson-Versuch
nun als Grundlage der Relativitätstheorie gesehen wurde. Michelson selbst hat sich
mit Recht dagegen gesträubt.
Der Michelson-Versuch widerlegt die Fresnel'sche Annahme eines ungestört strömende Äthers,
zeigt aber keineswegs die generelle Richtungsunabhängigkeit der Lichtausbreitung.
Kein Experiment kann eine über dass Experiment hinausgehende Gültigkeit einer Vermutung beweisen.
Es kann eine Hypothese stützen, wenn sich die auf sie gegründete Erwartung bestätigt,
aber es kann sie nicht beweisen. Ein Beweis entsteht nur im negativen Falle, wenn sich die Erwartung
nicht erfüllt. Dann ist etwas an den Hypothesen oder ihrer Interpretation falsch.
Es ist also auch nicht so, dass das Ergebnis des Michelson-Versuchs die Relativitätstheorie erzwingt:
Es gibt ja andere Möglichkeiten seiner Erklärung. Die Aberration aber zeigt:
Wenn man verlangt, dass die Aberration der Wellenfronten des Lichts
mit der Aberration eines Photonenregens übereinstimmt, ergibt sich die Relativität der
Gleichzeitigkeit und mit der Forderung nach uneingeschränkter Gültigkeit
der Relativität der Geschwindigkeiten die
gesamte (spezielle) Relativitätstheorie.
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Das Experiment
Mit Hilfe der Überlagerungsfigur
(Interferenz)
zweier Lichtwellen
kann man relative Veränderungen in den beiden Wegen, die sie durchlaufen haben, schnell feststellen.
Eine Welle durch läuft einen Weg quer zur Bewegung der Erde durch den Äther (hin und zurück),
die andere läft der Bewegung der Erde voraus oder entgegen und kehrt dann zurück. Dazu wird ein
Lichtstrahl geteilt. Die Teilstrahlen laufen gegen Spiegel (in einer Entfernung L), die sie zurückwerfen, so dass sie zur
Überlagerung gebracht werden können.
Wir nehmen nun an, dass such die Apparatur mit einer Geschwindigkeit v (30 km/s ist die Geschwindigkeit der Erde
auf ihrer Bahn um die Sonne) gegen den Äther bewegt. Die Lichtgeschwindigkeit bezeichnen wir mit c (300000 km/s).
Wenn der Strahl quer zur Bewegungsrichtung an seinem Spiegel angekommen ist,
hat er auch noch den Weg geschafft, den
die Apparatur bis zu dieser Zeit genommen hat, im Ganzen also nach
Pythagoras
c2tquer2 = Lquer2 + v2tquer2.
Der Strahl in Bewegungsrichtung hat einmal cthin = Llängs + vthin,
und zurück ctrück = Llängs - vtrück.
Zunächst ergibt sich
tquer2 = Lquer2 / (c2 - v2),
thin = Llängs/(c-v) und
trück = Llängs/(c+v).
Die Wegedifferenz ist
2 ctquer - cthin - ctrück =
2Lquer/sqrt(1-(v/c)2)
-Llängs/(1-v/c) - Llängs/(1+v/c) approx 2Lquer(1+(1/2)(v/c)2)
- 2Llängs(1+(v/c)2)
Wird der Apparat nun gedreht, verändern sich die Wege entsprechend
der Lage der Arme und die Interferenzfigur müsste
das zeigen. Der erwartete Effekt zeigt sich aber nicht.
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Die Relativität der Gleichzeitigkeit
Wenn die in instantan gemessene Lage einer sich bewegenden Ebene von der Bewegung des Messenden
abhängt, dann kann sich diese Abhängigkeit nur noch in dem Wort instantan verbergen.
Wenn auf den stehenden Beobachter eine zum Erdboden parallele Regenfront herabstürzt,
dann sind die Ereignisse der Auftreffens der Regentropfen auf dem Boden gleichzeitig.
Ist diese Regenfront für den laufenden Beobachter in die Bewegungsrichtung gekippt,
dann sind die fü den stehenden Beobachter gleichzeitigen Ereingisse nun für den
laufenden vor ihm früher und hinter ihm später als an der Stelle, wo er sich dann gerade befindet.
Was als gleichzeitig beurteilt werden muss, ist fügegeneinander bewegte Beobachter verschieden:
die Gleichzeitigkeit wird relativ.
Das Einsteinsche Axiom der universell richtungsunabhängigen Lichtgeschwindigkeit
erzwingt gerade die auf die Aberration passende Relativität der Gleichzeitigkeit.
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Die Richtungsunabhängigkeit der Geschwindigkeit
Wenn Geschwindigkeiten bei Zusammensetzung addiert werden, kann es keine Geschwindigkeit festen Betrags geben.
Der Betrag jeder Geschwindigkeit wird dann
durch Zusammensetzung mit einer Geschwindigkeit gleicher Richtung geändert.
Einsteins Axiom einer generell richtungsunabhängigen Geschwindigkeit bedeutet deshalb auch
die Addition als Regel bei der Zusammensetzung von Geschwindigkeiten aufzugeben.
Fast 50 Jahre vor der Konstruktion der Relativitätstheorie und 25 Jahre vor dem ersten
Michelson-Versuch gab es nun schon einen Versuch, der eine Geschwindigkeit ohne Richtung definierte,
eine Geschwindigkeit also, die sich nicht einfach additiv mit anderen Geschwindigkeitesn zusammensetzen kann,
eine Geschwindigkeit, deren Betrag eine Naturkonstante sein sollte.
Es handelt sich um den Versuch von
R.Kohlrausch
und W.Weber zur Definition der
Einheit der elektrischen Ladung
auf mechanischem Wege. Seit sich das Internationale Einheitensystem durchgesetzt hat, ist das Problem und der
Versuch von Kohlrausch und Weber weitgehend vergessen, obwohl sein Resultat das einzige ist,
welches das Axiom der richtungsunabhängigen Lichtgeschwindigkeit unmittelbar stützt.
Zumindest im Prinzip kann die elektrische Ladung wie die magnetische Polstärke durch die
Kraft definiert werden die gleiche Ladungen oder Polstärken aufeinander ausüben.
Die magnetische Polstärke kann man aber auch auf elektrische Ladung umrechnen, wenn man sie als Strom
durch eine geometrisch definierte Spule schickt und deren magnetische Polstärke dann berechnet.
Es gibt so eine elektrostatische und eine magnetostatische Einheit der elektrischen Ladung.
Der Umrechnungsfaktor ist eine richtungslose (skalare) Geschwindigkeit. Diese Geschwindigkeit konnte
1856 nicht besonders genau bestimmt werden, aber es war sofort zu sehen, dass sie die Größenordnung der Lichtgeschwindigkeit hatte, und
Maxwell schloss daraus, dass das Licht eine elektromagnetische Welle ist.
Nimmt man den Versuch aber ernster als man sich 1856 traute, zeigt er die Existenz einer richtungsunabhängigen Geschwindigkeit, deren
Existenz im Einsteinschen Axiom gerade gefordert wird.
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Michelson,A.A.: The relative motion of the Earth and the luminiferous ether, The American Journal of Science 22 (1881),
120-129.
Michelson,A.A.: Die Relativbewegung der Erde gegen den Lichtäther, Deutsche Übersetzung mit einem Vorwort von
A.H.Compton und einem Nachwort von M.v.Laue, Die Naturwissenschaften 19 (1931, Heft 38), 777-784.
Bleyer,U., Gottlöber,S., Haubold,H.-J., Hempelmann,A.,
Mücket,J.-P., Müller,V., Stoll,D.:
Zur Geschichte der Lichtausbreitung, Die Sterne 55(1979), 24-40.
Zum historischen Umfeld:
P.Brosche, D.-E.Liebscher:
Fallstricke der Aberration
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Portal
Rekonstruktion im Keller unter der Ostkuppel des AOP (jetzt PIK) auf dem Telegrafenberg
und einige Poster:
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