Führung
April 2016
Ich spüre deine Führung nicht!
ist ein häufiger Vorwurf der Dame. Der Vorwurf ist berechtigt, wenn die
Dame eine Bewegung des Herrn erwartet. Der Herr kann sich aber nicht
unbedingt bewegen: Kann sein, er hat keinen Platz, kann sein, er ist
mit seinen Plänen beschäftigt, kann sein, er hat nicht genügend
Spannung. Aber bereits das ruhige Stehen ist Führung. Wie das?
Die Dame will tanzen, der Herr muss es zulassen. Er entscheidet, was er
zulassen will, und nennt das Führung. Der Herr bietet Führung an, indem
er mit dem rechten Arm den Platz definiert, in dem sich die Dame
relativ zum Herrn bewegen kann. Wenn die Haltung der Herrn stabil sein
soll, darf sich die Dame nur nach links in den Arm hinein bewegen oder
drehen. Andererseits darf der Herr sich nie mehr nach links drehen als
die Dame will, den das löst den Kontakt. In einem Satz: Der Herr ist
für die Rechtsdrehungen, die Dame für die Linksdrehungen
verantwortlich.
Wer vorwärts antreibt, startet
mit dem rechten Fuß immer ein Rechtdrehung. Geht der Herr rechts
vorwärts, hat er für die Gestaltung der Drehung alle Möglichkeiten,
aber das Minimum ist immer ein Figur nach Art des Federschritts. Geht
die Dame rechts vorwärts, gilt das gleiche, nur hat sie keine
Möglichkeit, selbst zu drehen, sie darf nur geradeaus in den Arm des
Herrn hinein. Dreht sie aktiv rechts, wirft sie den Herrn aus dem
Gleichgewicht. Rechtsdrehungen sind Sache des Herrn. Geht der Herr
links vorwärts, wird es eine Linksdrehung, die aber die Dame
durchziehen muss. Sie wird dabei begrenzt durch die Art, wie der Herr
sie begleitet. Das Minimum ist immer ein Figur nach Art des
Dreierschritts, die Dame darf sich aber nicht über einen Linkskreisel
mit Linksachse wundern. Geht die Dame links vorwärts, muss sie dabei so
viel Linksdrehung erzeugen, wie der Herr zulässt, auch wenn das im
allgemeinen nicht viel sein kann, aber ein Tumble turn ist ja auch eine
ganze Drehung.
Wer rückwärts tanzen muss, muss auf die Bewegung des Partners zunächst
warten. Wenn der Herr sich dabei nicht bremsen kann, hört er
regelmässig den Vorwurf: Immer bist du schon weg, bevor ich loslegen
kann. Muss der Herr links rückwärts und wartet auf die Dame, hat er im
nächsten Schritt sofort wieder alle Gestaltungsmöglichkeiten der
Rechtsdrehung, wenn die Dame ihrerseits nur vorwärts mit Schwung in
seien rechten Arm tanzt. Muss der Herr rechts rückwärts, muss seine
linken Hüfte deutlich Platz machen und der Dame die Linksdrehung
ermöglichen. Muss die Dame links rückwärts, weiss sie, dass eine
Rechtsdrehung folgt, die der Herr auf seine Kappe nehmen muss. Sie kann
passiv bleiben und sollte nur mit ihrer rechten Hüfte Platz machen.
Muss die Dame rechts rückwärts, wird es eine Linksdrehung, und die Dame
muss trotz ihrer abwartenden Rückwärtsbewegung sofort aktiv auf ihre
Linksdrehung einstellen, die der Herr ermöglicht und eben auch erst
nach anderthalb Drehungen begrenzt.
Der Hauptteil der Führung ist die Veränderung des Raums, den der Herr
gibt. Er kann ihn nach vorn erweitern, und er kann ihn zu seiner
rechten Seite erweitern. Die Dame nimmt die Führung an, wenn sie der
Hand des Herrn folgt. Sie muss also immer den Kontakt zu dieser Hand
halten, ohne den Kontakt zum Körper des Herrn aufzugeben.
Was führt der Herr, wenn er sich nicht deutlich verändert? Die Bewegung
der Dame kann dann nur der Ausdruck des Wunsches sein, sich in den Arm
des Herrn hinein bewegen. Genau das geschieht u.a. am Beginn eines
Tanzes. Der Herr lädt die Dame ein und die Dame zeigt ihre
Bereitschaft, indem sie den zunächst festen Raum durch Linkswendung
deutlich ausfüllt. Es muss ja nicht gleich zu solchen Verbiegungen
führen, wie sie auf Turnieren der oberen Klassen zu bestaunen sind.
Die Führung beginnt, wenn der Herr sich entschließen kann, deutlich ein
Standbein zu wählen und sich auch richtig draufzustellen. Der Herr will
i.a. sehen, was vor ihm passiert, also stellt er sich Front in
Tanzrichtung auf. Steht er auf dem linken Fuß, beginnt er rechts
vorwärts. Das ist der übliche Anfang (im Tango steht der Herr auf dem
rechten Fuß und beginnt links vorwärts). Soll der Anfangstakt richtigen
Schwung haben (WWFQ), kann man diesen in einem Vortakt aufziehen, in
dem ein Absenken aus mehr oder weniger erhobener Position
choreographiert wird. (Herr rechts vorwärts lässt der Dame Zeit, sich
auf die Schrittgröße und den Drive des Herrn einzustellen. Herr links
vorwärts ließe der Dame diese Zeit nicht, sie müsste sich sofort auf
eine aktive Linksdrehung einstellen.) Der Vortakt beginnt mit dem
deutlichen Austellen auf das rechte Bein des Herrn, einer deutlichen
Linkswendung und endet mit einem Schritt auf den absenkenden linken Fuß
bereits in der Vorwärtsbewegung. Der Herr kann aber das Aufstellen auf
das rechte Bein mit einer Rechtswendung beginnen, dabei rechte Seite
lerlängern und die Dame in die Promenadenstellung bringen, die dann den
Anfangstakt entschlossen mit dem linken Bein und einer folgenden
Linksdrehung beginnt.
Es ist möglich, aber nicht üblich, dass der Herr im ersten Takt links
vorwärts geht. Die Dame muss sofort mit Linksdrehungswunsch reagieren,
damit der Herr die Wahl zu gelaufener Linksdrehung, Telemark oder
Linkskreisel hat. Die Linksdrehungen werden vom Herrn begrenzt und
müssen vom Herrn begrenzt, beendet werden.
Noch unüblicher ist es, mit einem Vorwärtsschritt der Dame zu beginnen.
Denn dann muss der Herr der Dame vertrauen, nicht umgekehrt. Während
des Tanzes geschieht das immer dann, wenn der Herr in einer Ecke
gestrandet ist, aus der er nur rückwärts heraukommt. Ween die Dame dann
mit vollem Einsatz links vorwärts beginnt, kommt der Herr wieder in
eine Position, wo er Steuer und Initiative übernehmen kann.
Das sind, wenn das Paar steht, nun vier
Startmöglichkeiten, die die Dame aber eben nur erkennen kann, wenn sie
sich immer in den Arm und die Haltung hineinbewegen möchte, wie
unvollkommen und kritikwürdig die Haltung des Herrn auch immer sein
mag.
"Papa," sagte da jemand, "das ist die Theorie, aber das Leben ist
anders." So ist es. Es wäre schon eine ziemliche Zumutung für die Dame,
wenn sie das Optimum an Bewegung in jedem Takt erst aus dem Anschub
erschliessen müsste. Deshalb werden Figurenfolgen auch verabredet.
Wirkliches Tanzen nach Musik erfordert ja tatsächlich eine durchgehende
Choregraphie, d.h. eine vollständige Verabredung. Nach der Verabredung
ist jedoch die Verführung für den Herrn groß, sich auf die Dame zu
verlassen und zu passiv zu führen. Gesellschaftstanz heißt aber, dass
auch Partner miteinander tanzen können, die sich nicht genauer kennen,
und die keine gemeinsame Choreographie vorher absprechen können. Dann
heißt es: keine Tricks, richtige Führung durch den Herrn und richtiges
Zulassen der Führung durch die Dame.
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D.-E.Liebscher