Tanzen ist der einzige Sport, bei dem man sich nicht loslassen muss. Tanzen ist der einzige Sport, den der Arzt ohne Bedenken empfehlen kann.
Wer es genauer wissen will:
Tanzen (Ballroom dancing) ist Sport. Tanzen ist der Sport. Ich meine
den Gesellschaftstanz im allgemeinen, speziell aber den
Paartanz, der zu Unrecht mit oft abschätzendem Unterton
Standard genannt wird, aber eigentlich Premium heißen müsste.
Tanzen ist sportliche Allgemeinbildung. Keiner kommt
im Leben ohne Tanzen aus. Ich brauche keinen
Felgaufzug und keine Riesenwelle. Ich brauche kein
eingeschlagenes Nasenbein, keinen
Spiralbruch und keine Schießausbildung. Tanzen muss ich können, wenn ich
nicht abseits stehen will. Tanzen ist
Allgemeinbildung wie Schwimmen, Radfahren und Gehen.
Das Gehen lernen wir ohnehin, aber auch das
braucht seine Zeit. Tanzen lernen braucht auch Zeit,
aber nicht mehr als Schwimmen und Radfahren.
Tanzen aber hat allen anderen Sportarten eins voraus.
Es ist der einzige heterosexuelle
Mannschaftsport. Nur hier kann ein Paar eine Mannschaft
bilden. Nur hier dürfen nicht nur Jungs mit Jungs oder Mädchen mit Mädchen, sondern auch Jungs mit Mädchen. Wo ist die Wettkampfsportart, in der
sich Paare nicht gegenseitig die Zeit stehlen,
die man auf Erden miteinander verbringen sollte?
Tanzen ist ein Sport, der Jungen und Mädchen nicht
trennt, sondern einen Partner auf den anderen
angewiesen sein lässt. Dies ist ein lebenswichtige
Erfahrung, und kein anderes Unterrichtsfach
hat diese so zwanglos und unmittelbar zu bieten.
Tanzen ist eine kulturelle Leistung der Menschheit.
Wer wüsste ohne weiteres, wie sich ein Paar in
geschlossener Haltung mit Vollgas über die Fläche bewegen
kann? Und das nicht, obwohl man sich in geschlossener Haltung
bewegt, sondern weil nur die geschlossene Haltung dies ermöglicht?
Man muss es lernen, als Menschheit
abstrakt, als Paar konkret, so wie alle Kultur gelernt werden
muss. So wie bei aller Kultur bedarf es
bewusster Anstrengung, sonst geht sie auf lange Zeit verloren.
So wie bei aller Kultur darf man sie nicht der Meinung einer
betrogenen Öffentlichkeit überlassen.
Tanzen gehört wie alle Allgemeinbildung an die Schule.
Wie viele andere Allgemeinbildung
(Kindererziehung, Umgang mit dem Partner, bewusste soziale
Techniken, Haushaltführung) auch, findet
man sie selten dort.
Tanzen ist ein friedlicher Sport,
so gilt er als weichlich, fördert zu wenig die
Gewaltbereitschaft, so wenig, dass ihm sogar eine
Neigung zur Homosexualität angedichtet wird. Dabei
ist er - wie geschrieben - der einzige Sport, der
gemischtgeschlechtliche Mannschaften zulässt und -
beim Paartanz - auch erwartet, und bei dem Handlungen
wie auf dem Fußballfeld nach einem Torerfolg
undenkbar sind!
Tanzen ist ein friedlicher Sport. Wer von Männern Ruppigkeit und
Gewalt erwartet, hält ihn für unpassend, aber sollen wir
wirklich nach diesem Bild unterrichten? Wir
wollen tanzen, gerade weil dort Ruppigkeit und Gewalt
ausgeschlossen sind. Mag auch das ganze Fernsehen auf Übertragungen
deshalb verzichten.
Tanzen ist ein friedlicher Sport. Nicht in allen Aspekten natürlich,
wenn an das stupide Marschmetrum denkt, das die industrielle Unterhaltung
beherrscht, die von ihr produzierte Modemusik wie auch die von ihr
produzierten Modetänze. Aber nach Walzermusik kann man nicht marschieren.
Das Paartanzen ist eine Erfindung des Friedens (speziell der Walzer
spiegelte den Ausbruch des Friedens nach den
Napoleonischen Kriegen).
Dem entgegen steht die Jahnsche Tradition der Körperertüchtigung,
die die Tradition des überkommenen Sportverständnisses ist.
Wie oft habe ich gehört, dass der Sportunterrricht verbessert werden muss,
damit die Rekruten in besserer körperlicher Verfassung ihren Wehrdienst
antreten!
Tanzen ist ein unbeschwerter Sport, dessen
Leistungsdruck nicht durch das Gelächter der
anderen zu psychischer Qual und Erniedrigung ausartet.
Diesen Punkt sollte man nicht unterschätzen. Es gibt
zu viele Erwachsene, die sich noch lange an solche Erfahrungen erinnern,
wenn ihre körperliche Entwicklung mit der gerade derjenigen Mitschüler
nicht Schritt gehalten hat, die ihren körperlichen Vorsprung
genutzt haben, um schlechte Lernleistungen durch
Gewalt gegen die Mitschüler zu kompensieren.
Dementsprechend
sind auch die Erfahrungen an den Schulen, die
paarweises Tanzen als eigenständiges Gebiet des Sportunterrichts
führen: Weniger Disziplinprobleme, besserer
Umgangston, weniger Gewalt.
Tanzen ist ein integrierender Sport, der Musik und Kunst
einbezieht. Nach Aussage vieler Lehrer gibt es wenig Schulen,
an denen der Musikunterricht im Vergleich mit anderen Fächern
wirklich befriedigen kann. Tanzen ist auch hier das Mittel der Wahl.
Es ist der Schlüssel zum Musikverständnis derjenigen,
die kein Instrument spielen und deren Stimme
nicht zu atemlosem Lauschen Anlass gibt.
Was steht der Einführung von Tanz als Unterrichtsgebiet
im Sport entgegen? Es ist dies die
militärische Tradition der Körperertüchtigung, die
Zweikampf, Athletik, Turnen und Ähnliches in den
Vordergrund stellt. Wenn schon Tanz, dann aber
nur für Mädchen! So ist das Herkommen. Es findet
sich nicht nur in den Lehrinhalten, sondern hat sich
auch in der Ausbildung der Sportlehrer verfestigt.
Es bedarf also bewusster Anstrengung, nicht nur um
dem Alltagsverständnis, sondern auch der Pfründesicherung
zu trotzen und beiden das Notwendige
abzuringen. Notwendig ist nicht eine Festlegung von
Gymnastik/Tanz als Wahlpflichtgebiet, weil das in
der Regel dann doch nur die Mädchen absondert und
die Jungen nicht erfasst. Notwendig ist eine
gesonderte Festlegung von Tanz allein, für Mädchen
und Jungen, zunächst als Wahlpflichtgebiet, am Ende aber als Pflicht.
Was kann man dafür streichen? Na, alle Zweikampf- und Doping-Sportarten natürlich! Wer sich für diese interessiert, soll das in einem
Sportverein lernen!
Und endlich brauchen wir Tanzausbildung für die angehenden
Lehrer! Da wird merkwürdigerweise die Befürchtung
laut, die eingesessenen Tanzlehrer und Tanzschrittverkäufer
würden Sturm laufen. Das glaube ich nicht.
Schließlich protestiert auch kein Schwimmverein gegen
Schwimmunterricht an der Schule, weil ihm
Schwimmkursgebühren verloren gingen.
Man wird sehen. Hoffentlich.
Dierck-E.Liebscher
PS: Es gibt viele Studien, deren Ergebnis so offensichtlich ist,
dass er ihrer eigentlich nicht bedarf: Tanzen erhält die körperliche
und geistige Gesundheit, d.h. es ist besser als Joggen und besser als
Kreuzworträtsel. Soweit mir bekannt ist, ist es der einzige Sport,
wo ich nicht erst zum Arzt muss, und es ist der einzige Sport, der
immer in die Empfehlung des Arztes eingebunden wird. Aber ehrlich:
Wer tut schon irgendetwas wegen der Gesundheit allein.
Tanzen macht einfach glücklich. Um es noch poetischer auszudrücken,
es tröstet uns darüber, dass wir nicht fliegen können wie die Vögel,
um dem Himmel, dem Heiligen, der Unendlichkeit etwas näher zu kommen
(Julio Bocca).
zitiert wurde die Seite Anfang August auf
http://artdance-berlin.blogspot.de/2015/08/tanzen-ist-ein-sport.html
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D.-E.Liebscher